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Juli 2011

Improvisationsformat Inspektion

tänzerisch-musikalische Einsichten aus fünf Perspektiven

"Mir scheint es fruchtbarer, möglichst unbefangen an das Problem des erlebten Raums heranzugehen und zu sehen, was dabei herauskommt. In diesem Sinn fragen wir hier nach der inneren Struktur des Raums, wie er sich dem Menschen konkret in seinem Erleben darstellt."

Otto Friedrich Bollnow, Der erlebte Raum, 1956

Übersicht

Informationen zum Grundformat
Anwendung des Grundformates auf neue Räume
Besonderheiten bei "Inspektion: Kunstverein Freiburg"

Inspektion: Kunstverein Freiburg
Inspektion: Winterfoyer


Informationen zum Grundformat

Drei Tänzer und zwei Musiker setzen sich mit der inneren Struktur eines Raums auseinander. Dabei werden die traditionellen Abgrenzungen zwischen Zuschauerraum und Bühnenraum aufgelöst. Die Zuschauer begeben sich mit den Performern an verschiedene Orte im Raum. Ziel ist, dass jeder Rezipient einen anderen Abend erlebt.

Das Grundformat wurde in den Räumlichkeiten des Kunstverein Freiburgs entwickelt; ein Ausstellungsraum, der sich zu einer überregional und international beachteten Institution entwickelt hat, die sich ausschließlich mit aktuellen Tendenzen der Gegenwartskunst beschäftigt. Untergebracht im ehemaligen Marienbad ist er ein Ort, der in seiner Funktion bereits umgedeutet wurde: vom Schwimmbad zur Galerie.

Dieser Raum wurde von den Künstlern Verena Hehl, Oleg Kaufmann und Doro Eitel - Tanz und Performance - sowie Jan F. Kurth, Sylvia Oelkrug und Konrad Wiemann - Musik und Komposition - zum Archiv ihrer ganz persönlichen Erfahrungen. Sie entwickelten ein Stück, in dem verschiedene Improvisationsmodelle aus Tanz und Musik auf die jeweils andere Kunstform sowie auf den Raum angewandt werden.

Die Handlungen der Performer kreisen um die Themen Nähe und Distanz, Intimität und Öffentlichkeit, Verdichtung und Perspektive. Immer wieder vermessen sie den Raum aufs Neue, teilen ihn unter sich auf, lassen neue Räume darin auftauchen und wieder verschwinden. Dabei beruhen ihre Handlungen auf losen Folgen von Improvisationen, die sie zuvor an diesem Ort für sich erprobt haben. Dies geschieht unter besonderer Berücksichtigung von Durchlässigkeit und Offenheit für die Rezipienten. Stets können die Performer den Verlauf des Abends verändern und ihre Handlungen den Bedürfnissen des Publikums anpassen.

Zuschauer betreten den gewählten Ort, werden einzeln oder in Gruppen von Performern abgeholt und an verschiedene Plätze der Location geführt. Hier führen die Performer kleine Stücke vor, verwickeln das Publikum auf behutsame Weise in Szenen und Situationen und vermitteln ihnen hierbei neue Einsichten in den Raum und das persönliche Erleben der Performer. Immer wieder ergeben sich für die Zuschauer Wahlmöglichkeiten, einem bestimmten Performer zu folgen oder sich einer anderen Gruppe anzuschließen.

"Der Imperativ der Partizipation, einer dauernden Beteiligung an den Kommunikationsnetzen ist als Kontext für neue Formen von Theater zu berücksichtigen, in denen die gewohnte frontale Perspektive, das Rollenspiel und die Einfühlung verweigert werden."
Patrick Primavesi, Zuschauer in Bewegung, 2008

Anwendung des Grundformates auf neue Räume

Die Anwendung auf neue Räumlichkeiten erfolgt unter besondere Berücksichtigung, welche unterschiedlichen Perspektiven den Zuschauern angeboten werden können. Dabei werden sie auch in unterschiedliche Positionen gebracht: liegend, durch ein Gitter schauend, außerhalb des Raumes, inmitten des Geschehenes, von oben nach unten oder von unten nach oben schauen, über Kopf, im Sitzen im Stehen. Ein weiterer Aspekt ist das Klangerleben: auch hier gibt es diverse Optionen: umrundet vom Klang, außerhalb, direkt und nah, aus der Ferne, Klangquellen, die sich bewegen; Klang in kleinen Räumen und in großen; von oben, von unten und mittendrin.

Eine weitere Rolle spielt das Umdeuten der Räume bzw. das Assoziieren und Bedienen auf unerwartete Weise. Miteinbezogen wird auch, was der Raum an Inventar zu bieten hat.

Dazwischen kommen immer wieder einzelne Zuschauer in den Genuss einer ganz privaten Vorführung eines Performers oder sie erhalten die zwanglose Möglichkeit, sich aktiv ins Geschehen einzubringen. Letztendlich wird jeder Zuschauer einen etwas anderen Abend erleben. Er begibt sich auf eine individuelle Wanderung, indem der Rezipient Wahlmöglichkeiten hat und Angebote der Performer annehmen oder ablehnen kann. Zudem gibt es immer wieder Situationen, in denen sich der Zuschauer in das Geschehen einmischen darf.

Besonderheiten bei "Inspektion: Kunstverein Freiburg"

Der Raum bietet eine einzigartige Akustik mit kathedralenartigem Nachhall und verschiedenen Klangperspektiven sowie eine Vielzahl von Bespielungsmöglichkeiten, wie Balustraden, Emporen, ein Foyer mit Glastür einem Keller, welcher mit einem Lastenaufzug mit der Haupthalle verbunden ist. Die Ausstellung während dieser Zeit des Thailänders Udomsak Krisanamis bot Inspiration für viele Szenen. Der Raum und die Kunstwerke luden die Zuschauer ein, den Raum und das Geschehen in ihm aus vielen verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen. Beim Erschaffen des Stücks dienten auch Schriften des Pädagogen und Philosophen Otto Friedrich Bollnow, wie der eingangs zitierte Aufsatz "Der erlebte Raum" als Inspirationsquelle ohne allgemeingültigen Anspruch.

Zu Inspektion: Kunstverein Freiburg

Pressestimmen

Badische Zeitung vom 25.Juli 2011:
Einsichten und Aussichten